Diesen Beitrag gibt es hier auch als Podcast.
"Brain Talk" von David Schnarch zeigt welche schwerwiegenden Folgen Unehrlichkeit im Umgang mit Kindern für ihr Gehirn hat.
Dieses Buch hat tatsächlich meinen Blick auf die Welt verändert. Und es hat mir noch einmal mehr klar gemacht, wie wichtig es ist genau jetzt den nächsten Schritt zu machen. Den nächsten Schritt nach Büchern wie "Geborgen wachsen", von Susanne Mirau, Nach "Soviel Freude, so viel Wut", von Nora Imoau, Nach "Kinder verstehen von Herbert Renz-Polster, nach "Artgerecht" von Nicola Schmidt oder auch nach Martina Stotz' und Kathy Webers "Die Superkraft der liebevollen Führung".
Sie alle haben wundervolle Arbeit geleistet und die Bedürfnisse der Kinder nach Bindung, nach liebevoller Begleitung, nach Nähe und Körperlichkeit in den Blick gerückt. Und Das hat nicht umsonst viele Eltern sehr berührt und ihren Umgang mit ihren Kinder geprägt.
Die Bedeutung von Ehrlichkeit im Umgang mit unseren Kindern
Und gleichzeitig: ist dabei eines etwas aus dem Fokus geraten: Das ist die Frage: Wie kann ich mein Kind denn liebevoll begleiten, wenn ich am Rande des Nervenzusammenbruchs oder des Burnouts stehe? Wenn ich gerade innerlich koche, weil immer wieder meine eigenen Grenzen überschritten werden, weil mein Partner oder meine Partnerin mich nicht schützt sondern mit ihren oder seinen eigenen Dingen beschäftigt ist? Ich aber gleichzeitig einen unglaublichen Druck spüre, liebevoll mit meinem Kind zu sein, "damit es keinen Schaden nimmt", sprich: die Bindung nicht gestört wird, es sich geliebt fühlt so wie es ist, es sein darf, wie es möchte (all das Dinge, die ich mir für mich selbst gewünscht hätte.)?
Es ist diese eine Sache, die ich selbst immer und immer wieder gemacht habe und die ich immer wieder beobachte: Ich war müde, ich war ärgerlich, ich war unzufrieden. Manchmal war ich wütend: aber ich habe gelächelt. Ich habe gute Mine zum bösen Spiel gemacht, ich habe freundlich geguckt und mit sanfter Stimme gelockt, gelobt und Geschichten erzählt. Ich habe Geduld geheuchelt, wo ich ungeduldig war. Ich habe Freundlichkeit geheuchelt wo ich sauer war. Sauer auf mich, auf mein Kind, das mir den Schlaf, die Freizeit, aber zu alledem auch mein Selbstbewusstsein genommen hat. Das mir immer und immer wieder das Gefühl gegeben hat zu versagen und eine schlechte Mutter zu sein.
Die Abwärtsspirale
Wie hat es das gemacht? Nun es war oft unzufrieden, hat wütend und schreiend protestiert gegen meine Fürsorglichkeit, hat meine Pläne unterwandert: den Plan von einem schönen Abschied am Abend, von einem liebevollen Aufstehen am Morgen, vom sanften Begleiten in den Tag. Nein es kam nicht immer Protest, aber häufig. Es gab Kämpfe und Schreierei von beiden Seiten. Und dabei war meine Vorstellung immer: wenn ich eine richtig gute Mutter wäre, dann wären unser Umgang liebevoll, zärtlich, voller Lachen und Freude aneinander.
Die Fähigkeit im Geist der anderen zu lesen!
Und nun kommt mit dem Buch "Brain-Talk" von David Schnarch ein schreckliches Wissen hinzu: Mein Kind hat das immer gemerkt: diese Nicht-Übereinstimmung von meinem tatsächlichen Gefühl und dem, was ich gesagt habe und wie ich es gesagt habe. Es konnte das noch nicht in Worte fassen. Und es hat vermutlich gedacht, es täuscht sich, weil das ja nicht sein kann.
Jeder von uns hat die Fähigkeit, zu erkennen, wenn Haltung nicht mit dem Tun oder dem gesagten übereinstimmt. Das ist keine sozial erlernte Fähigkeit sondern eine, die in unserem Gehirn fest verankert ist. Ja, die unser Überleben sichert. Es ist auch keine besonders hoch entwickelte Fähigkeit sondern eine, die in unserem "Reptiliengehirn" zuhause ist. Denn schon ein kleiner Salamander kann sehr feine Unterschiede in Gesichtsausdrücken erkennen und darauf reagieren. Wir sind darauf programmiert kleinste Abweichungen in Reaktionen zu entdecken. Wir sind darauf programmiert Lügen zu entdecken und wir können Absichten hinter Handlungen erkennen.
Das Buch ist komplex und geht sehr tief und sehr ins Detail. Wer es wirklich wissen will, der findet hier alle Antworten. Und sollte unbedingt einsteigen!
Als Kind ist die oberste Prämisse: meine Eltern sind gut und liebevoll.
Natürlich hat Schnarch einen anderen Fokus. Der auch spannend ist. Ihm geht es sehr viel mehr als mir um die Folgen von traumatischen Erlebnissen in der Kindheit. Eine entsteht aus einem grundlegenden Konflikt: Als Kind ist die oberste Prämisse: meine Eltern sind gut und liebevoll. Das ist wichtig, denn deshalb kann ich ihnen vertrauen. Und muss ihnen bis zu einem gewissen Punkt vertrauen. Was aber, wenn sich Eltern permanent böse verhalten. Wenn sie neidisch sind, nichts gönnen, wenn sie einem absichtlich die Zukunft vermasseln, damit wir nicht besser werden als sie, wenn sie Lebensfreude unterdrücken, weil sie selbst keine haben. Wenn sie Kinder leiden machen, damit es ihnen selbst besser geht? - Dann passiert laut Schnarch, dass die Fähigkeit genau das zu in den Gesichtsausdrücken und im Verhalten der Eltern zu lesen, unterdrückt wird. Es wäre zu schmerzhaft. Und das führt dazu, dass wir eine Art blinden Fleck mit uns führen: es wird auch später unmöglich sein, richtig zu urteilen über die inneren Beweggründe anderer. Es ist einfach diese Fähigkeit, die zu einem großen Teil einfach außer Kraft gesetzt wird.
Schnarch's Fokus liegt auf der Paar- und Sexualtherapie. Und er verfolgt akribisch, wie sich das genau hier auswirkt. Das ist total spannend und ich werde an anderer Stelle darauf zurück kommen. Was mich aber jetzt gerade am meisten berührt hat ist, dass ein weiterer Grund, warum Menschen nicht wirklich gut in anderen lesen können - also nicht so gut, wie sie es von ihrer biologischen Veranlagung her können sollten - (zumindest solange sie neurotypisch sind, also nicht ins autistische Spektrum fallen) - hat damit zu tun, dass sie in einer Umwelt aufwachsen, in der sie das nicht wirklich lernen können, weil die Lüge normalisiert wird - und sozusagen das überschreibt, was das Kind wirklich sieht.
Wie das Gehirn deines Kindes nachhaltig Schaden nimmt, wenn Unehrlichkeit normal wird
Was heißt das konkret? Wenn mein Kind also aufgrund seiner angeborenen Fähigkeiten spürt, dass es mir gerade nicht gut geht, dass ich überlastet, genervt und gestresst bin, ich ihm aber immer wieder sage: "Hey, ich höre dir zu, wie geht es dir? Was brauchst du, mein Schatz gerade? Soll ich dir .... dies oder jenes kochen? Und du hast keine Lust aufzuräumen, komm wir machen ein Spiel draus", obwohl mir der Sinn nach nichts weniger steht als nach einem Spiel, dann wird dieser Sinn getäuscht. Und sozusagen stumpf. Die "Lüge" wird zum neuen normal.
Das hat mich ebenso schockiert wie die Erkenntnis, dass meine Eltern mich als Kind zum Beispiel alleine gelassen haben, weil sie ihren Spaß haben wollten, und sie sich lustig gemacht haben über meine Todesangst. Weil sie es konnten. Und weil es ihnen egal war. Sie haben gedacht, es sei nicht so wichtig. - Ich aber habe mir gedacht, dass sie nicht sehen konnten, wie schlecht es mir wirklich ging.
Und das macht den ganzen Unterschied:
Ich habe richtig gesehen.
Sie konnten sehen, wie es mir ging.
Es war ihnen egal.
Was macht das mit mir? Irgendwie löst es mich von ihnen. Ich bin ihnen gar nicht böse. Es macht mich freier. Ich darf mich selbst um mein Wohlergehen kümmern.
Folgenreicher sind die Fälle, in denen Kinder Sex-Szenen zwischen ihren Eltern mitbekommen haben, oder in denen sich die Eltern abfällig oder negativ über die eigene sexuelle Entwicklung geäußert haben: und dabei vorgegeben haben, sie wollten ihr Kind vor Enttäuschung bewahren. Aber manchmal stand die Absicht dahinter, das Kind solle nicht mehr Erfüllung finden, als Mutter oder Vater. Zum Beispiel. Wenn du als Erwachsene dann verstehst: ich hatte Recht, als ich das Gefühl hatte, es geht ihnen gar nicht darum mich zu schützen sondern darum, dass sie mir das Vergnügen, die Lebensfreude, die Lust nicht gegönnt haben, dann wirkt das befreiend. Weil du verstehen kannst: erstens du hattest Recht, mit dem was du gesehen hast. Und zweitens: es war gar nicht so, dass du zu hässlich warst, dass du zu dick warst, dass du ausgenutzt wurdest, wie deine Eltern dir vielleicht erzählt haben. Auch da kannst du deinem Gefühl trauen.
Manipulation bleibt Manipulation, auch wenn deine Absicht gut ist.
Aber ist das nicht etwas ganz anderes, als die Geschichte mit deinem Kind heute, von der ich am Anfang berichtet habe? Nur auf den ersten Blick. Die Geschichten unterscheiden sich in der darunter liegenden Absicht, denn du möchtest ja deinem Kind etwas Gutes tun, indem du ihm den Eindruck gibst: es ist in Ordnung. Und ihm ganz und gar nicht schaden willst. Es ist aber insofern dasselbe als auch du falsche Tatsachen vorspielst. Und das ist manipulativ. Du sagst etwas, um etwas zu erreichen und nicht, weil es wahr ist. Du manipulierst die Wirklichkeit, damit dein Kind sich gut fühlt. Aber damit hinterlässt du eine fundamentale Verunsicherung: Dein Kind merkt, dass etwas nicht in Ordnung ist, aber deine Worte sagen etwas anderes.
Was aber ist die Konsequenz daraus? Bin ich der Meinung, du solltest deinem Kind sagen, ich bin müde, ich bin genervt, ich möchte jetzt nichts für dich Kochen und ich möchte dich nicht ins Bett bringen. Ich möchte auf dem Sofa sitzen und in Ruhe Serien schauen?
NEIN! Ich möchte, dass du dich als erwachsene Person dem Thema stellst. Kleine Kinder brauchen viel Zeit und Fürsorge. Das ist häufig mehr als du vermutlich je geglaubt hast, leisten zu können. Aber tatsächlich hat das Kind und seine gesunde Entwicklung Vorrang. Es ist hilfsbedürftig. Es braucht dich. Aber: du selbst musst es dir nicht schwerer machen als notwendig.
Es ist auch eine befreiende Botschaft: du darfst du selbst sein. Du musst nichts tun, was du nicht kannst. Und es ist eine ermutigende Nachricht: du darfst dabei weiter wachsen. Ja, du musst sogar wachsen, um es gut zu machen. Du darfst erwachsen werden. - Du darfst ganz du selbst werden.
Deine Chance: lerne ehrlich zu dir selbst zu sein!
Du darfst deine Grenzen wahren!
Und das darfst du ehrlich kommunizieren. Du musst dir klar werden, wieviel du leisten kannst, ohne innerlich aggressiv oder wütend auf dein Kind zu reagieren. Du musst deine Grenzen wahren. Nein: Du darfst deine Grenzen wahren! Du musst gnadenlos ehrlich zu dir selbst sein und zu deinem Partner oder deiner Partnerin. Niemand verlangt von dir, mehr zu tun als du kannst. Und vieles, was du als "Bedürfnis" deines Kindes wahrnimmst, ist lediglich ein Wunsch. Bei dir selbst würdest du sagen ein: "Nice-to-have". Aber kein Bedürfnis. Und Wünsche darf man abschlagen. Wünsche müssen nicht unbedingt immer erfüllt werden. Sie dürfen manchmal erfüllt werden. Und wir dürfen alle mal schlechte Laune haben. - Nur die Erwachsenen lassen die nicht an anderen aus. (Kinder haben da durchaus mehr Freiheit). Aber sie werden von den Erwachsenen lernen.
Es ist manchmal schwierig zu vermitteln, dass es ein Vorteil sein soll erwachsen zu sein - denn das ist manchmal mit "langweilig" und "Spaßbremse", mit "verbohrt" oder "unkreativ" assoziiert. Das muss aber nicht so sein. Wirklich erwachsen sein heißt: nicht mehr unter dem Einfluss der eigenen Eltern zu stehen. Heißt sich frei für das entscheiden zu können, was man für gut und richtig hält. Nicht mehr aus Trotz, um es den eigenen Eltern zu beweisen und auch nicht aus übertriebener Loyalität den eigenen Eltern gegenüber.
Ich erlebe immer wieder, dass Kinder die jahrelang Stunden an Einschlafbegleitung brauchen, von heute auf morgen von alleine einschlafen können, wenn die Eltern, oder eine/r von beiden sagt: "Ich kann das nicht mehr. Ich bin nebenan. Wir können die Tür auflassen. Du kannst mich in der Küche hören, oder wir machen die Tür zu, damit du dich sicher fühlst (je nachdem, was das Kind braucht)". Und dann geht das.
Mein Eindruck ist: es gibt eine fundamentale Verunsicherung der Kinder, die dazu führt, dass sie (wie bei jeder Verunsicherung) - die Nähe der Eltern ganz stark brauchen. Löse die Verunsicherung, indem du ehrlich und authentisch bist und die Kinder müssen dich nicht mehr so stark bewachen. Klarheit gibt Sicherheit. Führung braucht Klarheit.
Erledige deine eigene Wachstums-Aufgabe!
Es heißt aber auch: Klärt eure Beziehung untereinander. Do the work: es ist Zeit die Arbeit an sich selbst und der Beziehung zu tun, die ansteht - und sie nicht zu verschieben. Schon gar nicht wegen der Kinder. Im Gegenteil: Für euer Kind, solltet ihr eure Beziehung zu euch selbst und zueinander klar haben.
Durch ein Kind muss nämlich auch die Beziehung auf einen nächsten Level kommen. Tut ihr da nicht die notwendigen Schritte, dann leidet die Beziehung (nicht in erster Linie wegen dem Kind). Manchmal beobachte ich, dass der Fokus der Eltern so auf das Kind oder die Kinder gerichtet ist, dass man sich nicht um sich selbst kümmern kann. Und damit diese Arbeit ausblendet.
Ich sehe gut den Punkt, dass die Beziehung leidet, wenn ein oder zwei oder drei kleine Kinder da sind. Es ist einfach viel, viel Arbeit. Aber irgendwann sollte die Beziehung wichtiger werden. Und es beruhigt die Kinder zu spüren, dass die Ordnung stimmt. Frag mal nach: gibt es Themen zwischen euch, die ihr nicht angehen müsst, weil ihr immer wieder auf das Kind/die Kinder schaut? Was müsst ihr nicht besprechen, weil ihr wegen der Kinder keine Zeit mehr habt?
Verwandle die Abwärtsspirale in eine Aufwärtsspirale!
Ein Kind nimmt keinen Schaden, wenn du ihm nicht zweimal Essen anbietest, weil es das erste nicht isst. Es nimmt keinen Schaden, wenn es nur Reis, Kartoffeln oder Nudeln isst. Es nimmt keinen Schaden, wenn es sieht, dass Mama oder Papa müde und erschöpft sind. Es nimmt keinen Schaden, wenn du nicht jeden Abend den Clown spielst, damit es lachend ins Bett hüpfen kann. Es darf nüchtern und effektiv vorgegangen werden. Schlafen ist notwendig, wenn man müde ist. Rechtzeitig zu schlafen ist wichtig, wenn man früh raus muss.
Deine Klarheit wird dein Kind beruhigen. Deine Zufriedenheit, deine Entspannung entspannt dein Kind. So wird eine positive Aufwärts-Spirale daraus.
Oder um es mal mit den Worten einer Klientin zu sagen: "Für mich ist das Bild passend: ich channel Zufriedenheit und die fließt dann durch mich in die Familie." Ich finde das Bild super. auch wenn ich nicht genau weiß wie "channeln" geht. Aber fest steht folgende Reihenfolge: du kultivierst Klarheit. Wie auch immer, durch Gespräche mit deinem Partner, deiner Partnerin, durch Journaling, durch Therapie, Coaching, Beratung. Und diese Klarheit strahlst du in deine Familie aus. Das gibt deinen Kindern Ruhe und Sicherheit. Und das gibt dir das Gefühl eine gute Mutter oder ein guter Vater zu sein. Und das gibt deinem Kind das Gefühl ein gutes Kind zu sein.
Es ist deine Pflicht gut für dich selbst zu sorgen!
Natürlich ist am Anfang mit Geschrei und Protest von Seiten deines Kindes zu rechnen, wenn du plötzlich nicht mehr so reagierst wie bisher. Aber das ist in Ordnung: Wut ist ein gutes Gefühl. Nicht einverstanden sein, ist das gute Recht deines Kindes. Es heißt nicht, dass du ein schlechter Vater oder eine schlechte Mutter bist. Es heißt, dass du an dieser Stelle in Führung gegangen bist: aus deiner Fürsorgepflicht für dich selbst!! Denn ist ist deine Pflicht gut für dich selbst zu sorgen, damit du im Einklang mit dir selbst für dein Kind da sein kannst!
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