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AutorenbildBarbara Brüning

Wenn gefühlsstarke Kinder in die Schule kommen...

Aktualisiert: 21. Mai


Kind blickt fragend in die Welt

Gefühlsstarke Kinder zu begleiten ist eine echte Herausforderung, die viel Nerven, Geduld und vor allem ein gesundes Selbstbewusstsein fordert. Selbstbewusstsein vor allem wegen "der anderen". Die da sagen: die (der) tanzt euch ja ganz schön auf der Nase rum. Der (die) braucht mal Grenzen..... Die (der) will euch nur austesten. ... Wenn ihr das schon durchgehen lasst, was soll dann erst noch alles werden..." Und hoffnungslos schütteln sie den Kopf. Dabei haben sie keine Ahnung. - Immer wieder der Vorwürf, die Kinder wollten nur tyrannisieren, sie wollten Macht ausüben, es seien alles kleine Tyrannen, die mit ihren Wutanfällen, alle in ihrem Sinne manipulieren wollen.

Aber darüber habe ich ja hier schon geschrieben. Jetzt geht es mir ganz besonders darum, wie gefühlsstarke Kinder in der Schule klarkommen sollen. Das Problem ist mir vor zwei Tagen bei einem Themennachmittag der evangelischen Familienbildung für Eltern gefühlsstarker Kinder in Höchst gekommen.

"Sie kann Ungerechtigkeit nicht ertragen."

I. ist ein ganz kluges Mädchen. Sie hat keine Angst, sie lässt sich nichts gefallen. Und sie kann sich ausdrücken. Das kommt bei ihrer Lehrerin nicht so gut an. - Ihrer alleinerziehenden Mutter wird das Leben schwer gemacht. Kommt sie mit dem Kind zurecht? Macht sie auch alles richtig? Das Jugendamt muss da wohl mal nachsehen. - Dabei ist das Kind nur klug und hat Recht. "Darf die Lehrerin uns sagen, dass wir ihren Müll weg machen sollen? - Mama, das darf sie doch nicht. - Ich gehe zur Schulleiterin, wenn sie uns dazu zwingt." Man glaubt es kaum.

Ich kann auch kaum glauben, dass offensichtlich kein anderes Kind das bereits zu Hause erzählt hat, und dass also keine anderen Eltern mal mit der Lehrerin ein ernstes Wörtchen geredet haben. Ist sie nicht wie das Kind in dem Märchen "Des Kaisers neue Kleider", der nackt durch die Stadt reitet und niemand traut sich das auszusprechen? - Außer eben diesem Kind? - Gefühlsstarke Kinder haben unendlich viel Energie: sie lassen nicht locker. Sie rasten aus, wenn sie ungerecht behandelt werden. - Und das nicht zum "Grenzen auszutesten", nicht um "zu provozieren" - sie können nicht anders.

Wann hören wir endlich auf nach Schuldigen zu suchen?

Mich hat die Geschichte aber auch an Christine Finke von Mama arbeitet erinnert. Auch sie ist alleinerziehend. Auch bei ihr kam das Jugendamt nachsehen, warum ihre Tochter zu extremen Wutanfällen neigt. Nach zweijähriger Odyssee bei Kinderärzten erhielt sie die Diagnose "Autismus" - und ist erleichtert. Sobald man weiß, dass es "etwas" ist, wie zum Beispiel eine Krankheit, fällt die Angst, selbst dieses etwas verschuldet zu haben, ab. Und macht endlich den Weg frei, sich auf das Kind zu konzentrieren: was braucht sie - wie kann ich ihr das Leben erleichtern und mir auch?

Gefühlsstärke ist kein Erziehungsfehler

Bei den Gefühlsstarken Kindern ist es ja im Prinzip ähnlich: zu wissen sieben Prozent aller Kinder werden so geboren; wenn sie aus dem Gleichgewicht gebracht werden, dann sind sie ganz schnell im Brüll-Modus - aus dem erst mal kein Weg über rationale Argumente wieder zurück führt. Halten, verstehen, streicheln, beruhigen ist das Einzige was hilft. Und so langsam einüben - was irgendwann von selbst gehen soll. Es ist K E I N Erziehungsfehler. Es ist besser zu sehen, was das Kind braucht, als nach möglichen Fehlern der Eltern zu suchen.

Aber ohne Diagnose? Ohne Stempel? Da stehen die Eltern ganz alleine da. Und hören wieder und wieder: Er muss doch langsam mal ...

Muss er nicht. Gefühlsstärke ist keine Diagnose, weil es keine Krankheit ist. Es ist ein Phänomen mit fließenden Übergängen. Von hundert Prozent zu gar nicht gibt es viele, viele Abstufungen. - Und überhaupt: selbst wenn es nur einmal auftritt: Lehrer und Lehrerinnen in den Grundschulen sollten langsam Bescheid wissen, dass es nicht damit getan ist, den Eltern die Schuld zu geben: und das Schulsystem sollte langsam so offen und flexibel, so warmherzig und Lernatmosphäre-fördernd sein, dass ein hochsensibles und gefühlsstarkes, kluges Kind nicht als krank gebrandmarkt werden muss, um zu überleben.

Alternativen gibt es schon

Aber ich will nicht nur schimpfen: es gibt viele tolle Lehrer und Lehrerinnen. Und viele Schulen, die neue Wege wagen. Es gibt Schulen, in denen Kinder nur nach ihrem persönlichen Können gefördert werden und nicht einem abstrakten Lehrplan folgen müssen. Sie können in ihrem eigenen Tempo für jedes Fach so schnell oder so langsam sein, wie sie es brauchen. Und werden nicht immer verglichen mit anderen. Das tut ihnen sehr gut. Solche Schulen erhalten Schulpreise und haben Modellcharakter. Trotzdem gibt es nur wenige davon. Nicht in allen Städten überhaupt eine. - Aber Augen aufhalten hilft. Miteinander darüber ins Gespräch kommen. Den Schulleitern und -leiterinnen sagen, was stört und was auffällt. Nur so kommen wir in Bewegung.

Kinder sind unsere Zukunft - und diese sensiblen, einfühlsamen und klugen kleinen Menschen sind das Beste, was wir uns für unsere Zukunft nur wünschen können: wann kommt das endlich mal in den Köpfen der Kultusminister und Schulleiter und was-weiß-ich an, dass es extrem kontraproduktiv ist, solche Kinder passgerecht auf ein Schulsystem zuschneiden zu wollen, das nur dem Durchschnitt (gibt es den eigentlich noch?) gerecht wird.

Kinder sind wie ein Kompass...

Mir hat der Schlussatz einer Mutter sehr gut gefallen: "Wenn ich den Nachmittag mal zusammen fassen soll", hat sie gesagt, "dann heißt das: unsere Kinder sind anstrengend aber in Ordnung. Es ist das System, das sich ändern muss." - Genau. Und als allererstes wäre es toll, wenn unter den Müttern und Vätern mehr Zusammenhalt wachsen würde, wir uns stärken würden, anstatt uns gegenseitig runter zu machen und zu kritisieren. Denn dieses Etikett: "Erziehungsfehler" droht uns allen - sobald unsere Kinder mal eine Weile nicht so gut reinpassen. Unsere Kinder sind wie ein Kompass: sie zeigen uns, wo's hängt.

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