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Wenn gefühlsstarke Kinder in die Schule kommen...

Autorenbild: Barbara BrüningBarbara Brüning

Kind blickt fragend in die Welt

Was du hier findest:


Gefühlsstarke Kinder zu begleiten ist eine echte Herausforderung, die viel Nerven, Geduld und vor allem ein gesundes Selbstbewusstsein fordert. Selbstbewusstsein vor allem wegen "der anderen". Die da sagen: die (der) tanzt euch ja ganz schön auf der Nase rum. Der (die) braucht mal Grenzen..... Die (der) will euch nur austesten. ... Wenn ihr das schon durchgehen lasst, was soll dann erst noch alles werden..." Und hoffnungslos schütteln sie den Kopf. Dabei haben sie keine Ahnung. - Immer wieder der Vorwurf, die Kinder wollten nur tyrannisieren, sie wollten Macht ausüben, es seien alles kleine Tyrannen, die mit ihren Wutanfällen, alle in ihrem Sinne manipulieren wollen.

Aber darüber habe ich ja hier schon geschrieben. Jetzt geht es mir ganz besonders darum, was sich verändert, wenn gefühlsstarke Kinder in die Schule kommen.


Was verändert sich denn, wenn gefühlsstarke Kinder in die Schule kommen?

Nun, das erste was sich verändert, wenn gefühlsstarke Kinder in die Schule kommen, ist eben die Institution, die sie betreut. Und hier muss man sagen, dass die Struktur einer Schule eine völlig andere ist, als die in Kitas. Die Freiheit der Kinder wird wesentlich eingeschränkt. Während viele Kitas die Selbstbestimmung der Kinder nicht nur zulassen sondern aktiv fördern, gibt in der klassischen Regelschule ein Stundenplan vor, mit welchen Themen sich die Kinder wie lange zu beschäftigen haben. Sie geben vor, wer neben wem sitzt, wer sprechen darf und was auf dem Tisch liegen darf. Das ist für viele Kinder nicht einfach zu lernen. Gerade gefühlsstarke Kinder brauchen häufig ein großes Maß an Selbstbestimmung.


Während sich in der Kita-Zeit, die Fähigkeit zu argumentieren und sich sprachlich auszudrücken noch in der Entwicklung steckt, kommt sie in der Grundschulzeit immer mehr zur Reife. Gleichzeitig wächst die Fähigkeit zu Beobachten und ihr Verständnis für Zusammenhänge zwischenmenschlicher Beziehungen.Das gilt mehr oder weniger für alle Kinder, aber für die Gefühlsstarken ganz besonders. Meist sind sie besonders, aufmerksam, besonders sensibel und sehr klug. Und ungeduldig. Dass hier ihre Freiheit eingeschränkt wird, begreifen sie schnell. Und sie stellen das in Frage. Warum? Darf sie das?


Damit ist Schule für sie eine besondere Herausforderung. Denn anders als in der Kita sind die meisten öffentlichen Schulen immer noch so angelegt, dass eine ganze Klasse im gleichen Tempo die angesagten Lehrstoffe durcharbeiten soll. Das ist leider nur für ganz wenige Kinder wirklich passend. Für die wenigen nämlich, die zufällig in genau dem Tempo denken, lernen und verstehen, wie die Lehrerin oder der Lehrer sich das vorgestellt haben. Oder wie es eben der Lehrplan vorsieht. Kinder, die in ihrer Entwicklung gerade andere Prioritäten haben (und das suchen sie sich ja nicht aus), müssen sehen, wie sie klar kommen. Die, die es schon können und wissen (warum auch immer) und die die es langsamer begreifen und gerade gar keine Lust haben auf dieses Thema, gelten in den Augen der Lehrkraft dann als "anstrengend" oder "schwierig". Denn den Takt geben nicht die Bedürfnisse der Kinder, sondern einzig die Bedürfnisse des "Lehrplans" vor. Und dann heißt die Lösung oft: Die Eltern der "schwierigen" und "anstrengenden" Kinder werden zum Gespräch gebeten. Ihnen wird klar gemacht, dass ihre Kinder anstrengend und schwierig sind und sie sollen dass bitteschön ändern. Schließlich sind sie ja schuld daran.


Eltern stehen dann schnell zwischen den Stühlen. Sie verstehen, dass ihr Kind eben nicht anders kann, denn sie leben ja schon länger mit dem anstrengenden und schwierigen Menschenkind zusammen. Aber sie verstehen eben auch Lehrer bzw. Lehrerin. Sicher ist es nicht einfach ihr Kind zufrieden zustellen.


Anders als in der Kita, sind Grundschulkinder in der Lage gut zu argumentieren. Ihr Rechtsgefühl ist noch weiter entwickelt. Und sie sehen vieles, was andere nicht bemerken. Für manche Lehrkraft ist das eine echte Herausforderung. Vor allem natürlich für solche, die sich irgendwie eingerichtet haben in ihrem eigenen Reich und ihre Machtposition dazu ausnutzen, sich selbst nicht in Frage stellen zu lassen. Das führt häufig zu sehr unangenehmen Konflikten.


Ein Beispiel für einen Konflikt


Die Mutter von I., einem 9-jährigen, aufgeweckten, klugen und sehr empathischen Mädchen war bei mir in der Sprechstunde, wegen eines anhaltenden Konflikts mit der Lehrerin.

I. hat keine Angst, sie lässt sich nicht einschüchtern und sie lässt sich nichts gefallen. Und sie kann sich ausdrücken. Das kommt bei ihrer Lehrerin nicht so gut an. - Ihrer alleinerziehenden Mutter wird das Leben schwer gemacht. Kommt sie mit dem Kind zurecht? Macht sie auch alles richtig? Das Jugendamt muss da wohl mal nachsehen. Mit diesen Fragen wird die Mutter konfrontiert. Dabei wird ihr unterstellt, sie komme eben "nicht klar mit dem Kind", es denke sich Sachen aus, wolle Aufmerksamkeit. Ja, das kommt vor. Aber das muss nicht so sein, wenn ein Kind nicht kooperiert. In diesem Fall sagt I: "Darf die Lehrerin uns sagen, dass wir ihren Müll weg machen sollen? - Mama, das darf sie doch nicht. - Ich gehe zur Schulleiterin, wenn sie uns dazu zwingt." Es gibt keinen Grund an ihrer Aussage zu zweifeln. Ihre Mutter sagt:

"Sie kann Ungerechtigkeit nicht ertragen."

Ich kann auch kaum glauben, dass offensichtlich kein anderes Kind das bereits zu Hause erzählt hat. Aber ich erfahre, dass andere Kinder dasselbe erzählen. Sie regen sich nur nicht so darüber auf. Sie nehmen es eher hin. I.s Mutter hat mit anderen Müttern auch schon darüber gesprochen. Niemand möchte etwas unternehmen. Auch ein Grund, warum man in der Schule sagen kann: I. ist ja die einzige, die so was erzählt. Sie denkt sich das nur aus. Ist sie nicht wie das Kind in dem Märchen "Des Kaisers neue Kleider", der nackt durch die Stadt reitet und niemand traut sich das auszusprechen? - Außer eben diesem Kind? - Gefühlsstarke Kinder haben unendlich viel Energie: sie lassen nicht locker. Sie rasten aus, wenn sie ungerecht behandelt werden. - Und das nicht um "Grenzen auszutesten", nicht um "zu provozieren" - sie können nicht anders. Allerdings ist der "schwarze Peter" nun bei der Mutter, die sich vor allem weil sie auch noch alleinerziehend ist, dem Vorwurf ausgesetzt sieht, sich von ihrem Kind Märchen erzählen zu lassen.


Unser Schulsystem ist so aufgebaut, dass eine erwachsene Person, die von niemand anderem kontrolliert wird, nur von ihr abhängigen Kindern gegenüber sitzt. Es ist ein Leichtes, die Kinder der Lüge zu bezichtigen. Solange sich die Eltern nicht zusammen tun. Manchmal geschieht das, ... aber es ist immer noch selten. Oft kommen dann irgendwann Dinge ans Licht, die schon jahrelang schief gelaufen sind und man fragt sich, warum niemand vorher den Mund aufgemacht hat.

Wann hören wir endlich auf nach Schuldigen zu suchen?

Mich hat die Geschichte aber auch an Christine Finke von Mama arbeitet erinnert. Auch sie ist alleinerziehend. Auch bei ihr kam das Jugendamt nachsehen, warum ihre Tochter zu extremen Wutanfällen neigt. Nach zweijähriger Odyssee bei Kinderärzten erhielt sie die Diagnose "Autismus" - und ist erleichtert. Sobald man weiß, dass es "etwas" ist, wie zum Beispiel eine Krankheit, fällt die Angst, selbst dieses etwas verschuldet zu haben, ab. Und macht endlich den Weg frei, sich auf das Kind zu konzentrieren: was braucht sie - wie kann ich ihr das Leben erleichtern und mir auch? Gefühlsstärke ist allerdings keine offizielle Diagnose, die ein Kinderpsychologe stellen könnte. Es gilt nicht als Krankheit. Trotzdem gibt es sie. Gefühlsstärke ist kein Erziehungsfehler!


Gefühlsstarke Kinder brauchen in der Schule besondere Aufmerksamkeit

Sieben Prozent aller Kinder werden mit den besonderen Merkmalen der Gefühlsstarke geboren: wenn sie aus dem Gleichgewicht gebracht werden, dann sind sie ganz schnell im Brüll-Modus - aus dem erst mal kein Weg über rationale Argumente wieder zurück führt. Halten, verstehen, streicheln, beruhigen ist das Einzige was hilft. Und so langsam einüben - was irgendwann von selbst gehen soll. Es ist K E I N Erziehungsfehler. Es wäre weitaus hilfreicher zu überlegen, was das Kind braucht, als nach möglichen Fehlern der Eltern zu suchen. Aber ohne Diagnose? Ohne Stempel? Da stehen die Eltern ganz alleine da. Und hören wieder und wieder: Er/Sie muss doch langsam mal ...

Muss er nicht. Muss sie nicht. Gefühlsstärke ist keine Diagnose, weil es keine Krankheit ist. Es ist ein Phänomen mit fließenden Übergängen. Von hundert Prozent zu gar nicht gibt es viele, viele Abstufungen. - Und überhaupt: selbst wenn es nur einmal auftritt: Lehrer und Lehrerinnen in den Grundschulen sollten langsam Bescheid wissen, dass es nicht damit getan ist, den Eltern die Schuld zu geben: und das Schulsystem sollte langsam so offen und flexibel, so warmherzig und Lernatmosphäre-fördernd sein, dass ein hochsensibles und gefühlsstarkes, kluges Kind nicht als krank gebrandmarkt werden muss, um zu überleben.

Die Suche nach Alternativen

Aber ich will nicht nur schimpfen: es gibt viele tolle Lehrer und Lehrerinnen. Sie führen ihr Klassen so, dass alle Kinder finden, was sie brauchen. Sie haben Aufgaben für die langsameren, für die schnelleren und die mittleren. Sie nehmen sich Zeit zum Diskutieren und gehen spielerisch mit Herausforderungen um. Und es gibt viele Schulen, die neue Wege wagen. In denen Kinder nach ihrem persönlichen Können gefördert werden und nicht einem abstrakten Lehrplan folgen müssen. Sie können in ihrem eigenen Tempo für jedes Fach so schnell oder so langsam sein, wie sie es brauchen. Und werden nicht immer verglichen mit anderen. Das tut ihnen sehr gut. Solche Schulen erhalten Schulpreise und haben Modellcharakter. Trotzdem gibt es nur wenige davon. Nicht in allen Städten überhaupt eine. - Aber Augen aufhalten hilft. Miteinander darüber ins Gespräch kommen. Den Schulleitern und -leiterinnen sagen, was stört und was auffällt. Nur so kommen wir in Bewegung.

Kinder sind unsere Zukunft - und diese sensiblen, einfühlsamen und klugen kleinen Menschen sind das Beste, was wir uns für unsere Zukunft nur wünschen können: wann kommt das endlich mal in den Köpfen der Kultusminister und Schulleiter und was-weiß-ich an, dass es extrem kontraproduktiv ist, solche Kinder passgerecht auf ein Schulsystem zuschneiden zu wollen, das nur dem Durchschnitt (gibt es den eigentlich noch?) gerecht wird.

Kinder sind wie ein Kompass

Kinder sind oft anstrengend. Das hat damit zu tun, dass ihre Ziele oft eben nicht unsere sind. Sie sind von ihrer Neugier angetrieben. Der Freude an Dingen, am Tun. Ihr Zeitgefühl ist noch vollkommen anders als das von Erwachsenen. Wenn wir an Bildung und Ausbildung, an Zukunft denken. Wenn wir sagen, mach das erst mal eine Weile später wirst du sehen, wozu es gut war, dann ist das etwas, das ein Kind nicht verstehen kann. Kinder stören einfach oft unsere (erwachsene) Ordnung. Sie stören unsere erprobte Ordnung. Sie bringen Dinge durcheinander, stellen in Frage, wollen es auf ihre Art machen und brauchen deshalb unendlich lange. Tja. Das ist anstrengen. Aber in Ordnung. Und dieses Gefühl wollen wir ihnen erhalten: das Gefühl, du bist in Ordnung, so wie du bist.


Es ist daher das Schulsystem das sich ändern muss, wenn nicht sehr viele Schüler auf der Strecke bleiben sollen. Darüber sind sich inzwischen viele einig. Genau. Und als allererstes wäre es toll, wenn unter den Müttern und Vätern mehr Zusammenhalt wachsen würde, wir uns stärken würden, anstatt uns gegenseitig runter zu machen und zu kritisieren. Denn dieses Etikett: "Erziehungsfehler" droht uns allen - sobald unsere Kinder mal eine Weile nicht so gut reinpassen. Unsere Kinder sind wie ein Kompass: sie zeigen uns, wo's hängt.


Und da hilft am Ende nur "Augen auf". Es gibt viele Schulen, die jetzt schon anders sind. Aber, wenn sich dort nur die anmelden, die sonst niemand haben will, weil alle alle alle auf ein "richtiges" Gymnasium streben, dann wird sich nichts ändern. Ein tolles Beispiel ist zum Beispiel die "Schule am Bunten Tor" in Bremen. eine Grundschule, die früher gemieden wurde, weil das Einzugsgebiet "schwierig" ist. Inzwischen hat sie den deutschen Schulpreis (2015) gewonnen für ihre individuelle Förderung und auch Eltern von Überfliegern melden ihre Kinder wieder dort an, anstatt sie auf Privatschulen zu schicken. Es gibt die "Freie Schule Frankfurt", oder die Aktive Schule Frankfurt. Aber auch die Integrierte Gesamtschule Süd in Frankfurt hat sich die individuelle Förderung, Respekt vor jedem Einzelnen und seiner persönlichen Entwicklung auf die Fahnen geschrieben. Und das ist nur ein Beispiel von vielen. Jede Freie Schulen gibt es inzwischen in vielen Städten. Haltet die Augen auf. Fragt, diskutiert und lasst euch nicht entmutigen. Schule ist ein wichtiger Lernort, an dem dein Kind vor allem lernt und erfährt, ob es in Ordnung ist so wie es ist. Ob es respektiert wird. Ob es etwas wert ist - jenseits von seiner Fähigkeit sich anzupassen und zu funktionieren. Das Abi, wenn es denn sein soll ist hinterher ein Kinderspiel. Das ist meine Erfahrung. Und ich weiß, dass viele Eltern sehr viel auf sich nehmen, über ihre Grenzen gehen um ihrem gefühlsstarken Kind das Gefühl zu geben in Ordnung zu sein. Ihm nach einem Ausraster zurück in die Gelassenheit helfen. Ihm das Leben mit seiner besonderen Herausforderung zu erleichtern. Und ich würde mir wünschen, dass all diese Anstrengung nicht umsonst ist, weil dann eine ignorante Schule demselben Kind zu verstehen gibt, dass es nicht passt, dass es stört und auf seine Art eben "zu viel" ist.


So manches Kind beugt sich dann dem Druck und lässt sich vielleicht bis zur 11. Klasse in das System pressen, das ihm nicht entspricht und bricht dann die Schule ab. Da hat dann niemand was davon.

Wenn du eine Alternative in einer freien Schule suchst, dann kannst du dich hier über Konzepte und Schulen informieren: Bundesverband der freien Alternativschulen.


Was wenn ich keine andere Schule finde, die erreichbar wäre


Wenn allerdings dein Kind nun mal an einer "normalen" Schule ist. Vielleicht auch weil Freunde und Freundinnen dort sind, weil sie nah ist und du nicht jeden Morgen Autofahren möchtest (oder kannst), dann musst du, dann müsst ihr als Eltern für euer Kind einstehen. Immer wieder hingehen, mit den Lehrkräften sprechen, erklären, einfordern. Öffentlichkeit schaffen. Andere Eltern informieren, Gleichgesinnte suchen. Und wieder von vorne. Nur so kann langfristig Veränderung geschehen. Geht den Schulleitern und Schulleiterinnen auf die Nerven. Lasst nicht locker. Es sind Missstände in den Schulen, viele sind überhaupt nicht auf der Höhe der Zeit, was die moderne Pädagogik angeht. Und wenn die Eltern es nicht einfordern, wird sich nichts ändern: es sind Beamte, denen sonst nichts passieren kann und die von innen heraus keinen Veränderungsdruck haben.


Und eine große Entschuldigung an allle Lehrer und Lehrerinnen, die das lesen und die selbst Tag für Tag gegen dieses System kämpfen und die auf der Seite der Kinder sind, fördern und unterstützen! Ich sehe auch euch. Aber so lange das System sich nicht ändert, sind die Kinder wieder verloren, wenn sie die Klasse wechseln, diese wunderbaren Lehrer- und Lehrerinnen mal in Elternzeit gehen oder auch mal umziehen.

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