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So wird dein Kind (k)ein Tyrann!


Es gibt da so ein hübsches Bild: Ein Kind sitzt im Kinderstuhl am Tisch. Draußen, vor dem Fenster stehen auf einer hohen Leiter die Eltern am geöffneten Fenster und versuchen ihr Kind mit einem langen Löffel durchs Fenster zu füttern. - Die Geschichte dazu? Das Kind wollte nicht essen. Nicht den Brei, nicht so. Die Eltern wollen ihr Kind nicht hungrig ins Bett bringen. Schon damit es nicht alle Stunde wach wird und essen will. Deshalb haben sie seinen Wünschen nachgegeben und haben ein Löffelspiel gemacht. Erst kommt die Lokomotive mit dem Löffel Essen, dann ein Flugzeug ... Das Kind verlangt, dass das Flugzeug erst einmal um den Tisch fliegt ... die Eltern weigern sich. Aber dann, was solls. Und so nimmt das Unglück seinen Lauf. Das Flugzeug muss immer größere Bahnen fliegen, bis das Tyrannenkind bereit ist einen Löffel zu essen - und am Ende sieht es so aus, wie zu Beginn beschrieben.

Jirina Prekop zeichnet es in ihrem Buch "Der kleine Tyrann", aus den achtziger Jahren. Bezeichnender Weise ist Frau Prekop etwas aus den Bücherregalen verschwunden. Zurecht. Sie, die Erfinderin der "Festhaltetherapie" für autistische Kinder, hat ein gelinde gesagt einseitiges Bild vom Kleinkind. Es ist der geborene Tyrann. Und wenn man nichts dagegen tut, dann wird man sein Sklave.

Reines Gift für die Beziehung

Aber egal wo ihre Bücher gelandet sind - in den meisten Köpfen geht die Angst vor dem kleinen Tyrannen immer noch um. - und ich fürchte es wird mehr als Julia Dibberns Buch "Die Tyrannenlüge" braucht um wirklich davon loszukommen. - Und es wäre wirklich toll, es endlich mit Stumpf und Stiel auszurotten, denn ich halte es für pures Gift. - Ein Beziehungsgift. Das Buch säht ein grundsätzliches Misstrauen in einer Beziehung die auf tiefem Vertrauen gegründet ist und die dieses Vertrauen unbedingt braucht. Ein Kind vertraut seinen Eltern vorbehaltlos. Und Eltern können ihrem Kind selbstverständlich auch vertrauen. Es führt nichts Böses im Schilde - denn es ist noch gar nicht klug genug um solche Dinge auszuhecken wie: ich will, dass sie mir immer gehorchen: also tue ich ... und dann schreie ich ... und dann machen sie alles, was ich will. Ein Kind hat Null, Null, Null Interesse daran, seine Eltern zu unterwerfen. Denn ein Kind spürt ganz genau, dass es abhängig ist. Dass es Schutz, Liebe und Fürsorge braucht. Wenn es manchmal anders aussieht, oder sich anders anfühlt, dann sind das unsere Erwachsenenbilder von Macht, von Machtmissbrauch, von Unterwerfung und Unterdrückung die wir aber - in welchem Alter noch mal? - spät, viel später als mit zwei Jahren jedenfalls entwickelt haben.

Und warum tyrannisieren Kinder?

Und warum tyrannisieren Kinder dann ihre Eltern? Diese Frage muss anders herum gestellt werden: Warum fühlen sich Eltern von ihren Kindern tyrannisiert? Und fangen wir mal noch einen Schritt früher an: Warum isst das Kind nicht einfach, was die Eltern, nach liebevoller und sorgfältiger Überlegung für es ausgesucht haben? - Vielleicht, weil es ihm nicht schmeckt? Vielleicht weil es gar keinen Hunger hat? Vielleicht, weil sein Körper gerade etwas ganz anderes braucht? - Warum haben wir Erwachsene manchmal "einfach keinen Appetit" auf etwas, was wir gestern noch mit Heißhunger gegessen haben? Kann doch vorkommen. Kinder sind Menschen wie du und ich! Und weil sie merken, dass es Mama oder Papa gerade wichtig ist, dass sie das trotzdem essen, obwohl sie es nicht runter kriegen, machen sie bei dem Spielchen mit, das die beiden sich ausgedacht hat. Es will sie nicht ganz enttäuschen....

Das Kind ist einfach empfindsam. Es ist aufmerksam. Und es will sich nicht zwingen lassen. Die meisten Eltern hatten sich genau so ein Kind gewünscht!

Und wenn sie nicht gerade dieser Tyrannenlüge aufsitzen, die sich immer mal wieder ins Denken einschleichen kann - dann wissen sie auch , dass sie mit genau diesem Kind sehr glücklich sind. Auch wenn es anstrengend ist.

Ach, was schreibe ich? Ein Tyrann ist laut Wikipedia ein "Machthaber, der eine Schreckensherrschaft ausübt oder ein herrschsüchtiger, rücksichtsloser Mensch", und das ist ein Kind mit Sicherheit nicht.

Und zwar nicht deshalb, weil es "so gut erzogen" wurde.

Kinder sind genau das, was sie sein sollten

"Sie sind schon gut.

Sie sind genau das, was sie sein "sollten".

Und jede und jeder einzelne von ihnen trägt ein ganz persönliches Geschenk in diese Welt. Das fängt damit an, dass er oder sie als absolut und unverbrüchlich vertrauendes Baby die Eltern spüren lässt, wie tief Liebe gehen kann, ... ", schreibt Julia Dibbern.

Es ist für mich eine der vielen Gänsehaut-Stellen in diesem Buch: ein ganz ganz wichtiges Buch - um dieses Gift, das Vertrauen und damit die enge Beziehung zwischen Eltern und ihrem Kind zerstört - aus unseren Köpfen zu bekommen.

Wie kann man sich befreien von diesem die Beziehung immer wieder vergiftenden Gedanken an den kleinen Tyrannen?

Es ist immer wieder nur in kleinen Schritten möglich. Immer wieder sich ins Gedächtnis rufen, dass es so nicht sein kann. Dabei hilft jede Menge Fach- und Sachwissen im Hinterkopf zu haben. Und genau damit füttert uns Julia Dibbern: mit ganz viel Hintergrundwissen zu Gehirnentwicklung, Menschheitsentwicklung, zu Philosophie und Psychologie - zum Thema Grenzen setzen, Disziplin und Erziehung. Darüber hinaus macht es viel Freude beim Lesen. Ich genieße auch immer wieder die immer wieder an die Güte und Klugheit unserer Kinder erinnernden Zitate.

Für ein Leben ohne Tyrannenangst

Dazu ein unglaublich einleuchtendes Kapitel über Grenzen - und eines über ganz praktische Hinweise, wie ein Leben ohne "Tyrannenangst" verwirklicht werden kann. -

PS: Julia Dibbern ist übrigens die, die mit Nicola Schmidt zusammen "artgerecht" gegründet hat hat. Mit ihr zusammen hat sie auch "Slow Family" geschrieben. Lohnt sich auf jeden Fall auch reinzuschauen!

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